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Deutschland für EU-Lieferkettengesetz light

4. November 2022

Das EU-Lieferkettengesetz soll Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten entlang ihrer Lieferketten verpflichten. Nun plant ausgerechnet Deutschland, sich für eine Abschwächung einzusetzen. Droht ein Papiertiger?

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Elfenbeinküste Kinderarbeit in Kakao-Anbau  Burkina Faso arbeiten auf einer Kakaoplantage
Schokolade für Europa: Kinderarbeit auf einer Kakao-Plantage in der ElfenbeinküsteBild: Jürgen Bätz/dpa/picture alliance

Als René Repasi im Februar als Nachrücker für die Sozialdemokraten ins Europäische Parlament einzog, hatte er nur eine leise Ahnung, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit manchmal Welten liegen können. Der Jurist gräbt sich seit ein paar Monaten mit viel Herzblut in das Thema EU-Lieferkettengesetz ein – wo, wenn nicht bei dieser Regel, kann die Europäische Union beweisen, dass sie es ernst meint mit hohen Standards bei Menschenrechten und Umweltschutz?

Unternehmen in Europa sollen in Zukunft genauer hinschauen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte auf der ganzen Welt hergestellt werden. Soweit der Anspruch. Die Wirklichkeit ereilte Repasi vor ein paar Wochen, als ihm eine Nichtregierungsorganisation zusteckte, dass ausgerechnet Deutschland den Gesetzesentwurf abschwächen will. Die ARD-Sendung "Monitor" hatte zuerst darüber berichtet.

Repasi sagt: "Ich habe dann auch Dokumente zugespielt bekommen zur Position der Bundesregierung. Das war doch überraschend. Die SPD hat eine weitreichendere Position als das, was im deutschen Lieferkettengesetz drinsteht. Die Grünen sind noch weitergehend. Der Eindruck drängt sich daher auf, dass die FDP hier bremst."

Deutsches Lieferkettengesetz in zwei Monaten bindend

Das deutsche Lieferkettengesetz tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft. Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 3000 Beschäftigten, also circa 700 Firmen, stehen dann in der Verantwortung, entlang ihrer Lieferketten die Menschenrechte einzuhalten. Ein Jahr später betrifft dies alle Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern, etwa 2900 Firmen.

Lieferkettengesetz: Statt Ballast Wettbewerbsvorteil für Firmen

Das EU-Lieferkettengesetz, das noch vor der Europawahl im Frühjahr 2024 durch sein soll, und bisher als Entwurf vorliegt, würde noch einen Schritt weitergehen. Unter die Regulierung fielen auch Unternehmen mit nur 500 Beschäftigten, die Firmen müssten außerdem die gesamte Lieferkette beleuchten und nicht nur die direkten Zulieferer wie im deutschen Lieferkettengesetz. Vor allem aber bei der Haftung: Betroffene sollen Schadensersatz vor europäischen Gerichten einklagen können. Die Idee: alle EU-Staaten müssen die Direktive innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.

Streitpunkt "Sicherer Hafen"

Die Dokumente, die Repasi zur deutschen Position zugespielt bekam, schwächen den EU-Lieferkettengesetzentwurf in drei entscheidenden Punkten ab. Firmen sollen nur noch für Risiken haften, auf die sie auch "Einflussvermögen" haben. Institutionelle Investoren wie Banken oder Versicherungen sollen vollständig von Verpflichtungen ausgenommen werden. Und Unternehmen können sich ihre Produktionsprozesse als einwandfrei zertifizieren lassen und haften nur noch bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz, die sogenannte "Safe Harbor-Regel".

"Die 'Safe Harbor-Regelung' bereitet mir ziemlich große Kopfschmerzen, weil sie die Haftungsregeln im Prinzip leerlaufen lässt. Damit machen wir die Haftungsregeln so zahnlos, dass sie im Ergebnis nicht sonderlich greifen werden. Ich verstehe das Bedürfnis von Unternehmen, dass sie bei der Komplexität von Sorgfaltspflichten irgendeine Form von Sicherheit haben wollen. Dann aber muss man die Frage klären, wie man mit fehlerhaften Zertifizierungen umgeht. Und das ist nirgendwo in der mir bekannten Position der Bundesregierung geklärt worden", warnt Repasi vor einem zahnlosen Papiertiger.

Europäisches Parlament René Repasi
"Ich habe Sympathie für eine Risiko-Priorisierung, weil ein Unternehmen nicht alle Risiken managen kann" - René RepasiBild: privat

Auf Anfrage der DW sagt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums dazu: "Derzeit wird die Richtlinie in der Ratsarbeitsgruppe 'Gesellschaftsrecht' unter dem Vorsitz der tschechischen Ratspräsidentschaft verhandelt. Die dort vorgetragenen Weisungen der Bundesregierung sind nicht öffentlich und werden daher auch nicht kommentiert. Zudem ist die Meinungsbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen und wird im Lichte der Positionierung anderer Mitgliedstaaten fortgeführt. Die geäußerte Kritik, die Bundesregierung würde der Wirtschaftslobby zu stark entgegenkommen, spiegelt sich jedoch in keiner Weise in der laufenden Meinungsbildung wider. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass mit dem vorliegenden Richtlinien-Entwurf und dem aktuellen Diskussionsstand in der Ratsarbeitsgruppe ein wirksames EU-Lieferkettengesetz geschaffen werden kann."

Setzt sich Frankreich oder Deutschland durch?

Vor dem EU-Parlament war René Repasi Direktor des Erasmus-Zentrums für Wirtschafts- und Finanzverwaltung an der Erasmus-Universität Rotterdam. Sein Spezialgebiet: Finanzmarktregulierung. Den Studierenden hämmerte er ein, dass die Finanzmarktkrise 2009 genau deswegen ausgebrochen sei, weil sich alle wie blind auf die Ratingagenturen verlassen hätten: Unternehmen also, die von der Industrie bezahlt wurden, um Zertifikate auszustellen.

Der Jurist befürchtet, dass die Europäische Union beim Lieferkettengesetz diesen Fehler wiederholt. Repasi setzt nun alle Hoffnung auf Frankreich, dessen Position nahe beim Kommissionsentwurf ist: "Nach allem, was ich aus dem Rat höre, ist die deutsche Position keine Mehrheitsmeinung. Safe Harbor wird nach meinem bisherigen Wissen nur von Deutschland vertreten. Frankreich zum Beispiel sieht das sehr kritisch. Von daher denke ich, dass das Gesamtergebnis noch nicht in Stein gemeißelt ist."

Mahnmale Pakistan, Bangladesch und Brasilien

Das hofft auch Eva-Maria Reinwald. Sie arbeitet als Fachpromotorin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte beim Südwind Institut. Eine der mehr als 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mit der Initiative Lieferkettengesetz Tag für Tag Druck auf die Politik für eine verpflichtende Regel in Deutschland gemacht haben. Sie sagt: "Man muss der letzten Bundesregierung schon zugutehalten, dass sie nach Frankreich und ungefähr zeitgleich mit Norwegen überhaupt ein eigenes Lieferkettengesetz beschlossen hat. Nun ist es aber sehr enttäuschend zu erfahren, dass die Bundesregierung sich für eine Abschwächung des Kommissionsentwurf einsetzen will."

Deutschland Eva-Maria Reinwald Südwind Institut
"Einige Staaten setzen sich sogar für eine Stärkung des Klimaschutzes im Lieferkettengesetz ein" - Eva-Maria ReinwaldBild: Volker Hackmann

Immer wieder erinnern Nichtregierungsorganisationen wie Südwind an die Sicherheitsmängel beim Brand einer Textilfabrik in Pakistan 2012 mit mehr als 250 Toten, Näherinnen, die für den deutschen Discounter Kik arbeiteten. An den Einsturz des Gebäudes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein Jahr später. Mehr als 1100 Menschen verloren ihr Leben, obwohl die Gebäudesicherheit kurz vorher zertifiziert worden war. Und an den Bruch eines Staudammes an einer brasilianischen Mine 2019 mit mehr als 270 Toten, der zuvor vom deutschen TÜV Süd geprüft wurde.

Reinwald nennt noch ein aktuelles Beispiel: "Der Abbau des Mica-Minerals in Indien und Madagaskar findet in der Regel mit Kinderarbeit im informellen Sektor statt, die Lieferketten dazu sind kaum transparent. Hier wäre enorm wichtig, dass Unternehmen dieses gravierende Thema mit schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen angehen, statt zu sagen: 'Wir haben keinen Einfluss, also verschließen wir die Augen vor dem Problem.'"

Indien | Kinderarbeit
Mica ist wichtig für die Industrie: es kommt in Autolacken, Lidschatten und Elektroprodukten vorBild: Supratim Bhattacharjee/ZUMA Press/imago images

Positivbeispiel Bangladesch-Abkommen

Der Bangladesh Accord zeigt, dass es auch anders geht. Kurz nach der Katastrophe von Rana Plaza gaben Dutzende Unternehmen grünes Licht für ein Brand- und Gebäudeschutzabkommen in Bangladesch, sowie die Aufdeckung und Sanierung von maroden Fabriken durch unabhängige Sicherheitsinspektoren. Das internationale Nachfolgeabkommen von August 2021 haben mehr als 150 Unternehmen der Mode- und Textilbranche unterzeichnet.

Gerade im Ausland schaue man deshalb gerade ganz genau darauf, was in Sachen EU-Lieferkettengesetz passiert, sagt Eva-Maria Reinwald: "Unsere zivilgesellschaftlichen Partner, mit denen wir in Kontakt stehen, blicken jetzt natürlich auch mit Sorge auf die Position der Bundesregierung. Sie erhoffen sich, dass Deutschland eine fortschrittliche Rolle in diesem Prozess einnimmt. Europa hat sich eigentlich den Zielen von Nachhaltigkeit und den Menschenrechten verpflichtet. Eine Regulierung zu erlassen, die nicht Hand und Fuß hat, wäre ein fatales Zeichen an die Weltgemeinschaft."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur